Podiumsdiskussion "Gemeinsam(e) Geschichte erinnern?"

12.07.2016

Gemeinsam(e) Geschichte erinnern? Diskussion zur Zukunft der Erinnerungsforschung

Eine der Wegbereiterinnen der europäischen Gedächtnisforschung Prof. Barbara Szacka hatte zum Projekt "Deutsch-Polnische Erinnerungsorte“ gesagt: realistisch gesehen dürfte das Werk nicht gelingen. 117 Autoren, 25 Übersetzer, 9 Bände - es ist ein fast unmögliches Ziel. Aber es hat geklappt! Das Werk ist entstanden und das ist eine außerordentliche Leistung.

 
 
Wie nationale Geschichten erinnern?
 
Schon in den 1970er Jahren wurden Stimmen laut, die das „Ende der Nationen“ verkündeten. Eine gemeinsame, europäische Erinnerung und transnationale Diskurse sollten die kollektiven Gedächtnisse der Nationen ersetzen. Heute berufen sich viele politische oder soziale Gruppierungen auf ihre vermeintlich nationalen Traditionen, um etwa gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu protestieren oder für einen Austritt aus der Europäischen Union zu stimmen. Erleben wir tatsächlich das Ende einer Illusion, das Ende der großen Utopie des Nachkriegseuropa?
 
Vielleicht aber müssen wir einfach unsere Herangehensweise an die nationale Problematik ändern? Vielleicht sollten wir uns vor einer Dekonstruktion nationaler Gedächtnisse auf europäischer Ebene zuerst mit den bilateralen Erinnerungen zweier Nachbarländer, beispielsweise der Deutschen und Polen auseinandersetzen?
Diese letzte Frage versuchten 117 Autorinnen und Autoren aus sechs europäischen Ländern in dem umfassenden, neunbändigen Werk Deutsch-Polnische Erinnerungsorte zu beantworten. Zum ersten Mal haben in über 100 Beiträgen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen die deutsche und polnische Erinnerungskultur einander gegenübergestellt. Auschwitz und die SS, Gdańsk und Danzig, die Schlacht bei Tannenberg, der 8. Mai 1945, Günter Grass, oder sogar Käfer, Maluch und Trabi sind konkrete Ereignisse, Gestalten und Orte, deren Konstruktionen in den Köpfen der Deutschen und Polen mit unterschiedlichen, manchmal widersprüchlichen Bedeutungen und Interpretationen belegt sind. Können solch konkurrierende Erinnerungskulturen nebeneinander bestehen? Brauchen und wollen wir überhaupt eine gemeinsame, europäische Erinnerung – oder führt gerade ein solches Postulat das Gefühl eines Verlusts der eigenen, nationalen Vergangenheit herbei?
 
Diesen und anderen Fragen sind die Kunsthistorikerin Gabi Dolff-Bonekämper, der Historiker Hans Henning Hahn und die Kulturwissenschaftlerin Kornelia Kończal in einer von Marcin Piekoszewski geleiteten Diskussion nachgegangen. In den Abend haben die renommierte Soziologin Barbara Szacka und der Historiker Robert Traba, Direktor des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften eingeführt.

Mit dieser Veranstaltung feierten wir auch das Ende des Projekts Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, das in diesem Jahr auf eine schon zehnjährige Entstehungsgeschichte zurückblickt. Es ist das Ende dieses für das Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften zentralen Projekts – und der Anfang einer neuen Etappe, in der das Konzept bilateraler Erinnerungsorte weiterentwickelt und didaktisiert werden soll. 

12. Juli 2016
im Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften
Majakowskiring 47
13156 Berlin

 

Fotos: Ondřej Cinkajzl

übernatürliche Phänomene