Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? Welches Geschichtsbuch braucht Europa im 21. Jahrhundert?

Das Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften (CBH PAN) übernahm auf der polnischen Seite die wissenschaftliche Koordination des 2008 von den damaligen Außenministern Radosław Sikorski (Republik Polen) und Frank-Walter Steinmeier (Bundesrepublik Deutschland) ins Leben gerufenen „deutsch-polnischen Projekts eines gemeinsamen Geschichtsschulbuchs“. Das Projekt wurde in Kooperation zwischen dem CBH PAN und dem Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Braunschweig (wissenschaftliche Koordination auf deutscher Seite) unter der Schirmherrschaft der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission der Historiker und Geographen mit Unterstützung der deutschen und polnischen Regierung durchgeführt. Das Projekt wurde mit der Veröffentlichung des vierbändigen deutsch-polnischen Schulbuchs „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ im Jahr 2020 vollendet. Nach dem deutsch-französischen dreibändigen Werk „Histoire-Geschichte“ (welches in den Jahren 2006-2011 erschienen ist) handelt es sich um das zweite transnationale Geschichtslehrwerke in der Europäischen Union. Beide Schulbuchreihen sind auch die einzigen regulären Geschichtslehrbücher in Europa und der Welt, die für den Schulgebrauch zugelassen sind und deren Inhalte den Kernlehrplänen der sich beteiligten drei Ländern entsprechen. Mehr Informationen über die Lehrwerkreihe finden Sie auf: http://europa-unsere-geschichte.org/

Die Erarbeitung der ersten beiden transnationalen Schulgeschichtsbücher der EU wurde durch die enge Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft und den Regierungen der drei EU-Länder ermöglicht, die im Rahmen des Weimarer Dreiecks auch in verschiedenen anderen Bereichen kooperieren. In den Jahren 2021-2022 führte das CBH PAN in Berlin eine Reihe von Projekten mit ausländischen Partnern aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern durch, um die Erfahrungen bei der Umsetzung der deutsch-französischen und deutsch-polnischen Geschichtsschulbuchprojekte zusammenzufassen.

Den Auftakt machte ein wissenschaftliches Online-Symposium, das am 3.9.2021 gemeinsam vom CBH PAN Berlin und dem Centre Scientifique Académie Polonaise des Sciences in Paris organisiert wurde. Bei der Veranstaltung unter dem Titel „Le passé pour le futur. De quel Manuel d’histoire avons-nous besoin en Europe en XXI siècle? Les conclusions après la rélisation de projets des manuels d’histoire transnationaux franco-allemand et polono-allemand” nahmen die ständigen Vertreter:innen bei der UNESCO aus Polen, Deutschland und Frankreich wie Historiker:innen aus den drei Ländern teil.

Die enge Zusammenarbeit zwischen dem CBH PAN Berlin, dem Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Braunschweig, dem Institut des sciences sociales du politique (CNRS-Université Paris Nanterre-ENS Paris-Saclay) und dem Centre Scientifique Académie Polonaise des Sciences in Paris führte zur Fortsetzung der Initiative, was in der internationalen Tagung „Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? Welches Geschichtsbuch braucht Europa im 21. Jahrhundert? / Przeszłość dla przyszłości: Jakiego podręcznika do historii potrzebują Europejczycy w XXI w.? / Le passé pour l'avenir? De quels manuels d'histoire les Européens ont-ils besoin au XXIe siècle?“ mündete, die in Paris in den Tagen vom 15.9 bis zum 16.9.2022 stattfand. An ihr nahmen Historiker:innen aus wissenschaftlichen Einrichtungen, Geschichtslehrer:innen und ständige Vertreter:innen bei der UNESCO aus Polen, Deutschland und Frankreich teil. Die Konferenz wurde im Rahmen eines vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut initiierten Projekts „European Forum for Reconciliation and Cooperation in History and Social Sciences Education“ durchgeführt, an dem bi- wie multilaterale Initiativen, darunter Schulbuch- und Historikerkommissionen aus unterschiedlichen Ländern Europas, sich für den Dialog und die Versöhnung zwischen den Völkern einsetzen, die durch eine schwierige und dramatische Vergangenheit geprägt sind. Auf der Pariser Konferenz wurden die Erfahrungen aus den deutsch-französischen und deutsch-polnischen Schulbuchprojekten zusammengefasst und weitere Bemühungen zur Entwicklung transnationaler Arbeitsmaterialien für den Geschichtsunterricht vorgestellt. Weitere Informationen über die Konferenz finden Sie unter: https://cbh.pan.pl/de/konferenz-aus-der-vergangenheit-für-die-zukunft-lernen

Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Konferenz sind im Sammelband „School historical knowledge in Europe: transnational circulations and debates / Savoirs scolaires et historiens en Europe: circulations et débats transnationaux” zu finden, die im Verlag Effigi in der Reihe „Humana Scientia - La recherche en actes” erschienen sind (siehe: http://www.cpadver-effigi.com/blog/school-historical-knowledge-in-europe...). Die Publikation wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Institut des sciences sociales du politique (CNRS-Université Paris Nanterre-ENS Paris-Saclay) mit dem CBH PAN in Berlin und dem Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut erstellt. Die genannten Forschungszentren aus Frankreich, Polen und Deutschland planen zudem, den wissenschaftlichen Dialog zum Thema fortzusetzen und weitere gemeinsame Publikationen zu veröffentlichen.

Im Rahmen der trilateralen deutsch-französisch-polnischen Zusammenarbeit soll an dieser Stelle auf die Vorstellung der Erfahrungen aus der Arbeit an dem deutsch-polnischen Lehrbuch „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ durch Igor Kąkolewski auf zwei Veranstaltungen im Jahr 2023 verwiesen werden:

  • im Panel „Franco-German friendship & history education: contribution to European unity” auf der Konferenz „Second Belgrade History Education Symposium: History and memory culture for Europe: 60 years of Franco-German cooperation Inspiration for cooperation in Southeastern Europe and contribution to European unity”, die von der Französischen Botschaft in Belgrad, dem Goethe Institut und dem Ethnographic Museum and University of Belgrade vom 30.11. bis zum 1.12.2023 in Belgrad organisiert wurde
  • und im Panel „History on the page: what future for history textbooks?” beim Europarat während des „3rd Annual Conference of the Observatory on History Teaching in Europe (OHTE) Teaching history, teaching peace?” in Straßburg im Palais de l'Europe vom 30.11. bis 1.12.2023

Darüber hinaus stieß das Projekt für ein gemeinsames deutsch-polnisches Schulbuch insbesondere in den Ländern des westlichen Balkans (ehemaliger Staaten Jugoslawiens) auf großes Interesse. Ein Beispiel dafür ist die im Pristina (Kosovo) im Jahr 2020 erschienene Publikation „Handbook for teaching the Holocaust“, die unter der Beteiligung von Experten des CBH PAN der PAN in Zusammenarbeit mit u. a. Yad Vashem in Jerusalem, dem Haus der Wannseekonferenz in Berlin und der Unterstützung des Holocaust Memorial Museums in Washington DC entstanden ist. Link zur Publikation:
https://www.euroclio.eu/wp-content/uploads/Handbook-for-Teaching-the-Holocaust.pdf.

Das deutsch-polnische Schulbuch diente auch als Ausgangspunkt für das von CBH PAN organisierte polnisch-deutsch-ukrainische Seminar zum Thema „How to teach Ukrainian history in Germany, Poland and other European Union countries? New transnational perspectives on history teaching at school” in München vom 17. bis zum 18.11.2023, siehe: https:// cbh.pan.pl/de/internationaler-workshop-münchen

Das CBH PAN organisiert außerdem jährlich stattfindende Workshops für Lehrer:innen und Jugendliche aus Deutschland und Polen zur Umsetzung des Lehrbuchs „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ im Schulunterricht. Die Workshops werden mit Unterstützung der Stiftung Deutsch-Polnische Zusammenarbeit und des Deutsch-Polnischen Jugendwerks in enger Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Braunschweig und der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung organisiert (siehe zum Beispiel: https://cbh.pan.pl/de/workshop-für-polnische-und-deutsche-lehrkräfte-und-schülerinnen).

Weiterführende Literatur:

Igor Kąkolewski, Die Rolle des Schulbuchdialogs in den Versöhnungsprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts am Beispiel von Frankreich, Deutschland und Polen, in: Historie 15/2022/2023, S. 74-118.

Dominik Pick, Transnarodowość w edukacji historycznej a kształtowanie tożsamości obywateli. O równowadze między wiedzą a kompetencjami, in: Edukacja Kultura Społeczeństwo, 4/2023, S. 47-73.