Unaufhaltsam zur Freiheit: Robert Traba, Padraic Kenney, Adam Michnik, Reinhold Vetter

24.05.2016

Das Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften und die Konrad-Adenauer-Stiftung haben gemeinsam  eine Podiumsdiskussion zur Geschichte der polnischen Arbeiterbewegung 1956-1976-1981 mit Adam Michnik, Reinhold Vetter und Padraic Kenney veranstaltet.

Moderator: Robert Traba

Betrachten wir die Geschichtsdebatten der letzten Jahre, dürfen wir getrost die These formulieren, dass gewiss nicht die Historiker die Bilder der Vergangenheit im öffentlichen Raum prägen (im Übrigen – wann war das je der Fall?). Eine wichtige Rolle spielen nach wie vor die staatlichen Akteure der öffentlichen Bühne: Politiker, Regierungen – die über die Mittel breiter gesellschaftlicher Einflussnahme verfügen –, sowie die Medien selbst, in diesem Fall immer öfter die Social Media im Rahmen des Internet. Weit häufiger als in früheren Zeiten setzen heute JUBILÄEN die Impulse für neue Debatten und initiieren die Schaffung symbolischer Gewalt, die sich den öffentlichen Raum aneignet. Diesen Umstand kann man kritisieren – kann sich ärgern und sich noch tiefer in den Elfenbeinturm der Wissenschaft verkriechen. Aber man kann auch anders reagieren: sich der Herausforderung stellen und mit den vorhandenen Mitteln eine alternative Narration schaffen, basierend auf Wissen, auf Erfahrung und dem Verantwortungsgefühl dem Wort gegenüber.

Die drei im Titel angeführten Daten markieren in der Geschichte Polens drei wichtige Ereignisse, deren Jubiläen wir dieses Jahr begehen:

1.     Ein 60-jähriges Jubiläum – 1956, das Jahr des Posener Arbeiteraufstands sowie der definitiven Beendigung des stalinistischen Regimes, das in jedem mitteleuropäischen Land ein ähnliches und zugleich sein je eigenes, spezifisches Gesicht hatte;

2.     ein 40-jähriges Jubiläum – 1976, das Jahr, das wahrscheinlich bei den deutschen Zuhörern die wenigsten Assoziationen weckt, doch in eben diesem Jahr kam es zu einer indirekten Konfrontation der kommunistischen Expansion mit einem Protest von Arbeitern und Intelligenz: In der Verfassung der Volksrepublik Polen tauchte ein Eintrag über die dominierende Rolle der Sowjetunion auf, gleichzeitig erlebten die „goldenen Jahre“ – die Jahre der Liberalisierung des Systems unter Gierek – eine Wirtschaftskrise, was Arbeiterproteste in Radom sowie die Gründung des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) durch die Intelligenz nach sich zog. Die Ausdrücke „Arbeiter“ und „Intelligenz“ möchte ich an dieser Stelle betonen, waren doch bis dahin Arbeiterproteste bei den Eliten der polnischen Opposition auf kein Verständnis gestoßen. Die polnischen Studentenproteste von 1968, an denen der Protagonist des heutigen Gesprächs – Adam Michnik – direkt beteiligt war, hatten wiederum bei den Arbeitern kein Verständnis gefunden. Das Jahr 1976, die Entstehung des KOR, ist ein Meilenstein auf dem Weg zu den Ereignissen vier Jahre später – den großen gemeinsamen Auftritten von Arbeitern und Intelligenz.

3.     Über den 35. Jahrestag der Verhängung des Kriegszustandes in Polen kann nicht ohne den GROSSEN ANFANG gesprochen werden, den die Streiks im Juli und August 1980 darstellten. Diese Ereignisse sind Ihnen unter der Begrifflichkeit SOLIDARNOŚĆ und „Kriegszustand“ geläufig. In Deutschland wird die Wende von 1989/90 für gewöhnlich – bzw. mit nachgerade normativ verpflichtendem Duktus – als „friedliche Revolution“ bezeichnet. Ich persönlich verbinde jedoch das Fest der Freiheit – den „HERBST DER VÖLKER“ – nicht mit der Vorstellung einer Revolution. Ich habe diese Ereignisse bewusst erlebt, und wenn ich Vergleiche ziehen sollte, so sehe ich die einzige Revolution – und die tatsächlich einzig friedliche Revolution – in den Ereignissen von 1980/81. Als 1989 in Mitteleuropa der HERBST DER VÖLKER begann, erlebte Polen den Epilog der eigenen Revolution von 1980/81. Dieser Epilog umfasste den Runden Tisch und die ersten freien Wahlen am 4. Juni 1989. Und es waren „freie“ und nicht – wie häufig zu finden – „fast freie“ Wahlen. Am Ende unserer Diskussion wollen wir darauf zurückkommen.

Um diese drei Daten und ihre Ereignisse entspannen sich zahlreiche Debatten, es entstanden Mythen und historische Legenden: von der Heroisierung bis zur Desavouierung und dem Vorwurf des „Verrats nationaler Interessen“. Am deutlichsten zu sehen ist es am Beispiel des Runden Tischs, der in Deutschland, und zumal unter ostdeutschen Eliten, als polnischer Prototyp gilt, als Modell für die anderen unterworfenen Länder Mitteleuropas, wie man auf friedlichem Wege das kommunistische System verlassen könne – während er in Polen als Moment des Verrats bezeichnet wird, rekurrierend auf „Targowica“ (was sinngemäß dem Bild vom „Dolchstoß“ entspricht).

Um über diese Ereignisse zu sprechen, zu versuchen, sie erneut zu einer Erzählung zusammen zu fügen und die Bedeutung des Geschehens für Europa zu definieren, haben wir drei herausragende Spezialisten eingeladen. Jeder von ihnen erlebte etwas anderes (bzw. erlebte einen anderen Teil des Geschehens:  Padraick Kenney erlebte die späten 1980er Jahre, Reinhold Vetter erlebte die westdeutschen „Revolutionsbegeisterungen“), doch verbindet sie eines: der sachlich fundierte Zugang in dem Versuch, den „Menschen in der Zeit“ zu verstehen (um es mit Marc Bloch zu sagen), und es verbindet sie der bilaterale bzw. europäische Kontext des Geschehens.

(aus der Einführung von Robert Traba)

24.05.2016 um 19 Uhr

Konrad-Adenauer-Stiftung
Akademie Berlin
Tiergartenstr. 35
10785 Berlin
 
 
(Foto: Ondřej Cinkajzl)