Publikation

„Berlin. Polnische Perspektiven. 19.–21. Jahrhundert”

"Unser Buch entstand nicht in dem Bewusstsein, dass es ohne Polen keine multikulturelle Metropole Berlin gäbe oder gar dass Polen wichtigere Kulturträger als die anderen Einwanderergruppen seien. Nein, im Mittelpunkt unseres Interesses steht die Stadt, die jedem polnischen Betrachter ein besonderes Gesicht zeigt. Berlin steht im Zentrum aller hier versammelten Texte und nicht die persönlichen Erlebnisse der polnischen Autoren. Alle hier vorgestellten Zeugnisse spiegeln verschiedene Epochen des Lebens der Spreemetropole wider. Wir wollten an Hand der ausgewählten Textfragmente die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Atmosphäre auf den Plätzen und in den Strassen Berlins, die Dynamik der historischen Umbrüche dokumentieren. Jeder Text spiegelt eine bestimmte Zeitspanne wider, repräsentiert ein besonderes Fragment der Berliner Geschichte. Unsere Auswahl konzentrierte sich nicht alleine auf polnische Erstveröffentlichungen, einige der Texte der Berliner Polen sind ursprünglich in deutscher Sprache geschrieben worden.

Unser Lesebuch haben wir nicht nach chronologischen Kriterien geordnet. Die Perspektiven und Rollen der Autoren charakterisieren die jeweiligen Kapitel. So besteht das erste Kapitel des Buches aus Erinnerungen von polnischen Reisenden, Journalisten, Wissenschaftlern und Politikern, die nur flüchtig Berlin besuchten, einen schnellen Eindruck von der Stadt bekamen und größtenteils Auftragsarbeiten (Zeitungsberichte und Reportagen) verfassten. Das zweite Kapitel versammelt Erinnerungen politischer Opfer des preußischen Obrigkeitsstaates und des NS-Terrorregimes, Zeugnisse von Häftlingen des 19. Jahrhunderts oder von NS-Zwangsarbeitern. Das dritte Kapitel umfasst Texte von Kriegs- und Nachkriegskorrespondenten, die als Teil der sowjetischen und der Moskautreuen polnischen Truppen an den Kämpfen um Berlin teilnahmen und nach der Kapitulation des Dritten Reiches das Leben im zerstörten Berlin beobachteten. Das vierte Kapitel ist das umfangreichste, es präsentiert Erinnerungen und Reflexionen von Polen, die sich in Berlin für einen längeren Zeitraum niederlassen mussten oder wollten, von Polen, für die Berlin zu einer neuen Heimat wurde. Unser Ordnungsprinzip kann dazu führen, dass die Texte eines Autors in verschiedenen Kapiteln vertreten sind und dass er quasi in verschiedenen Rollen auftaucht, mal als politischer Häftling und später als Reporter im offiziellen Auftrag."

Editorische Notiz von Maciej Górny und Dorota Danielewicz-Kerski