Klaus Zernack Colloquium, 12. Dezember 2017

12.12.2017

Zur Vortragsreihe  Migrationsprozesse und Kulturtransfer. Deutsche und polnische Kontexte laden Prof. Dr. Michael G. Müller und Prof. Dr. Robert Traba gemeinsam mit Prof. Dr. Igor Kąkolewski ein
zum Vortrag von  Dr. Felix Ackermann

Im Schatten der Erinnerung an Flucht und Vertreibung
Die Verantwortung ostpreußischer Eliten an Verbrechen in Polen, Belarus und Litauen

Kommentar:  Dr. Katarzyna Woniak (Berlin)

Datum: Dienstag, den 12. Dezember 2017
Uhrzeit: 19:00 Uhr
Ort:  Bibliothek des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften
Majakowskiring 47, 13156 Berlin-Pankow

Die deutsche Besatzung Polens und der Sowjetunion hatte eine regionale Dimension. Von Ostpreußen aus organisierten Landräte, Polizisten und Geschäftsleute im Zuge des Zweiten Weltkriegs die deutsche Aneignung, Ausbeutung und Zerstörung der umliegenden polnischen belarussischen und litauischen Gebiete. Der Holocaust im „Bezirk Bialystok“ wurde von Allenstein aus organisiert, die systematische Zerstörung jüdischen Lebens im Grenzgebiet zwischen Ostpreußen und Litauen von Tilsit aus. Das polnische Ciechanów wurde als Regierungsbezirk Zichenau an das Deutsche Reich angegliedert. Im „Bezirk Bialystok“ errichteten Landräte aus Ostpreußen eine deutsche Zivilverwaltung, die die Ausbeutung der Region organisierte und Akteur der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik der Region war.

Durch den Verlust der Ostprovinzen des Deutschen Reichs und die Dynamik der Erinnerung an die verlorene Heimat wurden die von Ostpreußens aus begangenen Verbrechen nicht Teil der gesellschaftlichen Erzählung über die Region. Die Geschichte der ostpreußischen Angehörigen von Gestapo und SD sowie die Rolle von ostpreußischen Juristen bei der Organisation der Aneignung verbleiben bis heute im Schatten der Erinnerung an Flucht und Vertreibung. Anhand von Beispielen aus Grodno, Białystok und Schirwindt zeigt Felix Ackermann, wie eng verwoben dort die Radikalisierung der Gewalt gegenüber den jüdischen und christlichen Einwohnern der Nachbarregionen und die Praxis staatlicher Zwangsumsiedlungen waren.

 

Felix Ackermann ist Historiker und Stadtanthropologe. Nach dem Studium an der Europa-Universität Viadrina und der London School of Economics and Political Sciences promovierte er 2008 in Frankfurt (Oder) bei Karl Schlögel über die Aneignung und Zerstörung der heute belarussischen Stadt Grodno. Von 2011 bis 2016 lehrte er in Wilna mit Unterstützung des DAAD Angewandte Kulturwissenschaften an der European Humanities University. Derzeit erforscht er am Deutschen Historischen Institut Warschau die Geschichte des Gefängniswesens im geteilten Polen-Litauen. Über seine Arbeit in Litauen schrieb er das Buch „Mein litauischer Führerschein. Ausflüge zum Ende der europäischen Union“, das 2017 im Suhrkamp-Verlag erschien.